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Fränkischer Tag 02.06.2010, Seite 13

Wie soll sich das Haingebiet entwickeln?

STADTPLANUNG Wilfried Krings, ehemaliger Professor für historische Geographie, vermisst für das Viertel ein klares Konzept. Im FT-Interview spricht er über die besonderen Strukturen dieses vor rund 150 Jahren entstandenen Quartiers.


Bamberg - Ab Mitte des 19. Jahrhunderts dehnte sich Bamberg vom Schönleinsplatz aus in Richtung Hain aus. Von einigen Bausünden abgesehen haben sich die ursprüngliche Erschließung und Architektur bis heute erhalten. Neubauten wie die vom Stadtrat genehmigten in der Schützenstraße 20 (Garten des ehemaligen Stauffenberg-Grundstückes) und im Innenhof der Herzog-Max-Straße 38 bedrohen nun aus Sicht von Stadtheimat- und Denkmalpflegern den noch typischen Charakter des Gebiets. Wir sprachen darüber mit Wilfried Krings, Professor für historische Geographie.
Bild "Fürstbistum:Hainviertel_02.jpg"

Villenviertel gibt es in vielen Städten. Was zeichnet das Bamberger Haingebiet aus?
Wilfried Krings: Das Besondere am Haingebiet ist, dass es von Anfang an nicht als reines Wohngebiet entwickelt wurde, sondern von gewerblichen Einrichtungen und entsprechenden baulichen Anlagen durchsetzt war. Es ist noch immer ablesbar, was eine nach der Ständeordnung des 19. Jahrhunderts vorgenommene Stadterweiterung ausmacht.
Obwohl gehobene Dienstleistungsfunktionen in Bereiche mit "guten Adressen" eingedrungen sind, fehlte in Bamberg die Dynamik, die beispielsweise das Frankfurter Westend ergriffen hat: Dort ist der alte, von Villen und Parks bestimmte Charakter weitgehend zerstört und den Hochhäusern von "Mainhattan" gewichen.

Woher rührt das Nebeneinander von herrschaftlicher Architektur an der Straße und bescheidenen Hinterhof-Gebäuden im Hain?
Für dieses Neben- oder besser Hintereinander gibt es zwei Gründe. Im 19. Jahrhundert war es zumindest bei kleinen und mittleren Unternehmen üblich, Eigentümer-Villa und Betriebsgebäude auf dem gleichen Grundstück zu errichten. Die Hopfenhändler, die besonders an der Hainstraße das bauliche Erscheinungsbild mitgeprägt haben, benötigten Lagerkapazitäten und Darrvorrichtungen. Darren bedeutete, die Hopfendolden mit Hilfe künstlich erzeugter Wärme zu trocknen. Die Darröfen wurden mit Steinkohle beschickt, die entsprechenden Gebäude waren an ihren hohen Schornsteinen erkennbar. Die Schornsteine sind längst verschwunden, die mehrgeschossigen Lagerhäuser meist für Wohnzwecke umgenutzt.
Dann gab es weitere gewerbliche Betriebe wie die Druckerei Meisenbach an der Hainstraße, die Magenbitterfabrik (Schmidt'sche Fabrik) in der Amalienstraße - sie stellte nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 "Die deutschen Siegestropfen" her, jährlicher Umsatz 300 000 Flaschen-, ferner die Mechan. Schäftefabrik M. Horn ebenfalls in der Amalienstraße, die Closettpapierfabrik Kailing & Co. in der Schützenstraße, die Eisengießerei & mechan. Werkstatt Gramss & Thomas im Kaipershof.
Der zweite Grund: Große Anwesen der Oberschicht konnten nur mit Personal unterhalten werden, das - wie heute zum Teil noch erkennbar ist - seinen eigenen Eingang samt Treppenhaus hatte. Für Garten oder Park gab es den Gärtner,


"Nicht jeder repräsentative Altbau wie die Villa Dessauer kann als Museum überleben."
Wilfried Krings, Historischer Geograph


für die individuelle Mobilität den Kutscher, und selbstverständlich mussten Kutsche samt Kutschpferden auch untergebracht werden.

Viele dieser Nebengebäude stehen leer, während Bamberg über einen Mangel an Bauland klagt. Warum sollte die Stadt die Flächen nicht besser nützen, Stichwort Nachverdichtung?
Ob es tatsächlich einen Mangel an Bauland gibt, möchte ich bezweifeln. In Bamberg sollte Vorrang haben, leer stehende Räume und Gebäude zu nutzen. Davon gibt es dem Augenschein nach etliche. Wie es auch aus anderen Städten bekannt ist, scheitert eine sinnvolle Nutzung oft an den Eigentümern, die nicht daran interessiert sind, an Fremde zu vermieten. Grundsätzlich ist die Nachverdichtung zur Minderung des so genannten Landschaftsverbrauchs zu befürworten, so lange nicht besondere Faktoren dagegen sprechen. In Bamberg gehört die schon in alten Beschreibungen hervorgehobene Weitläufigkeit der Stadt zu diesen besonderen - und meiner Meinung nach beachtenswerten - geschichtlich bedingten Faktoren.

Können Sie das näher erklären?
Bamberg war nie in einen Festungsgürtel eingezwängt. Die Folge: großzügige Ausstattung mit Freiflächen, Haus- bzw. Villengärten ebenso wie mit Nutzflächen des traditionellen Erwerbsgartenbaus. Davon abgesehen: In Bamberg sollten alle Planungen nicht zuletzt dem Umstand Rechnung tragen, dass das derzeit noch militärisch genutzte Gelände samt einer großen Zahl von Wohnungen nicht „auf ewig" aus der Stadtentwicklung ausgeklammert bleiben wird.

Sie plädieren also für den Erhalt der Hinterhofbebauung. Wie könnte man sie zeitgemäß nützen? Haben Sie eine Idee?
Soweit eine Nutzung für Wohnzwecke nicht infrage kommt, wäre an kleine Büros, Werkstätten oder Ateliers zu denken. Nicht der einzelne Grundstückseigentümer, wohl aber das Viertel würde insgesamt davon profitieren, wenn es junge, kreative Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor anzöge. Voraussetzung wäre, dass die Räumlichkeiten bezahlbar sind. In der Startphase muss dieser Kostenfaktor minimiert werden. Luxussanierungen erweisen sich langfristig oft als kontraproduktiv.

Unabhängig von denkmalpflegerischen Maßgaben sollten demographische und ökonomische Überlegungenfür das gesamte Haingebiet im Vordergrund stehen: Was soll die zukünftige Bestimmung sein?
Die Attraktivität kann dauerhaft nur dann gesichert werden, wenn die Alleinstellungsmerkmale als Potenzial erkannt und behutsam weiterentwickelt werden.

Die so genannte Hainsatzung reglementiert Veränderungen für das Gebiet südlich der Ottostraße. Tatsächlich findet man die schlimmsten Bausünden - allen voran das "Herold"-Hochhaus - knapp jenseits dieser Linie. Wie sinnvoll finden Sie diese Grenzziehung?
Als Geograph habe ich mit Grenzziehungen grundsätzlich erhebliche Probleme. Es gibt nur wenige Fälle, wo Grenzen passen. Das „Herold"-Hochhaus empfinde ich zwar auch als "Bausünde", möchte aber zu bedenken geben, dass durch die seinerzeitige Expansion des Dienstleistungssektors in das Haingebiet in diesem speziellen Fall meines Wissens kein Baudenkmal geopfert wurde. Das (Wohn-)Hochhaus blieb zudem ein Ausnahmefall.
Für zahlreiche alte Villen wurde überhaupt erst durch die Nachfrage nach Praxis- und Büroräumen eine verträgliche Nutzung gefunden und damit ihr Erhalt gesichert. Schließlich kann nicht jeder repräsentative Altbau wie die Villa Dessauer als Museum überleben. Was die "Hainsatzung" betrifft, so muss ich zu meiner Schande bekennen, dass sie mir unbekannt ist; auf der Webseite der Stadt Bamberg habe ich sie nicht gefunden. Offensichtlich ist das Schicksal eines solchen Instruments, dann ausgegraben zu werden, wenn es im jeweils gewünschten Sinn anwendbar ist.

Die Fragen stellte Jutta Behr-Groh.

Zur Person (siehe Bild)

Bild "Fürstbistum:Zur-Person_02.jpg"


Abdruck des Interviews mit freundlicher Genehmigung des Fränkischen Tages