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Kurzbiographien bedeutender Vereinsmitglieder

PAUL OESTERREICHER (1767–-1839)
KREISARCHIVAR, GESCHICHTSFORSCHER, VEREINSGRÜNDER

von KLAUS RUPPRECHT in BHVB 141 (2005) 231–-238
Paul Oesterreicher wurde am 4. Juli 1767 in Forchheim als zweites Kind von Margarete Roppelt und Johann Oesterreicher geboren. Er wuchs in Forchheim, der Festungs- und zweiten Hauptstadt des Hochstifts, auf. Dort diente der Vater als Kastner des Bamberger Dompropsteiamts. Seine Mutter war die Tochter des Forchheimer Stücklieutnants Johann Roppelt. Bei den Oesterreichers wie den Roppelts handelt es sich um traditionsreiche Bamberger „Beamtenfamilien“, womit Pauls Karriere in hochstiftischen (und später bayerischen) Diensten im Grunde bereits vorgeprägt war.
Im Alter von elf Jahren wechselte Paul Oesterreicher von der „Teutschen Schule“ in Forchheim an das Gymnasium in Bamberg. Am 9. Januar 1782 schrieb er sich an der Bamberger Universität ein. Als erste akademische Grade erwarb er im September 1784 das Bakkalaureat und ein Jahr später mit knapp über 17 Jahren den Magister. In der Zeit seines Philosophiestudiums – vielleicht auch schon als Schüler – war Paul Oesterreicher Seminarist im Aufseesianum. Nach dem philosophischen Grundstudium widmete er sich im Hauptfach der Rechtswissenschaft. Oesterreicher unterbrach dieses Studium allerdings für längere Zeit und diente als Praktikant beim Reichshofrat in Wien. Dort eignete er sich auch grundlegende historische, diplomatische und paläographische Kenntnisse an. Am 5. August 1793 präsentierte er der juristischen Fakultät in Bamberg seine schriftlichen Ausarbeitungen für die drei Prüfungen.  In zweijähriger Arbeit entstand anschließend eine rechtshistorische Dissertation. Am 3. Oktober 1795 verteidigte Paul Oesterreicher erfolgreich seine Thesen und erwarb im Alter von 25 Jahren den Grad eines juristischen Licentiaten (IUL). Gleich nach Abschluß seiner Universitätszeit bemühte sich Paul Oesterreicher um eine Anstellung in Diensten des Hochstifts Bamberg. Der fließende Übergang vom Studium in das Berufsleben glückte durch die Ernennung zum Regierungsadvokaten am 29. November 1795. Die Bestallung zum Hofrat des Hochstifts Bamberg am 6. Februar 1800 bedeutete dann den erhofften Karrieresprung. Auf das damit verbundene Gehalt mußte er allerdings mehr als zwei Jahre warten. Die zukünftige Archivarslaufbahn zeichnete sich mit der Berufung zum Zweiten Archivar des Hochstifts am 18. November 1801 ab. Zeitgleich übernahm Paul Oesterreicher die Redaktion der vom Hofe unabhängigen Bamberger (Politischen) Zeitung des Professors Gerard Gley bzw. des Verlegers Konrad Schneiderbanger, legte diese aber kurze Zeit nach seiner Beförderung zum Ersten Archivar nach dem Tod des Josef Albert Kluger am 19. Januar 1803 nieder. Bis zu seinem Tod leitete Paul Oesterreicher das Archiv in Bamberg, das in dieser umwälzenden Zeit vom reinen Hochstiftsarchiv zum Kreisarchiv für Oberfranken mutierte.
Paul Oesterreicher war drei Mal verheiratet. Seine beiden Ehen mit Anna Pflaum (1802), der Tochter des Geheimen Referendärs Franz Matthäus Pflaum, und Anna Ziegler (1807), der Tochter des Bamberger Landesdirektionsrats Ziegler, blieben offensichtlich kinderlos. Aus der 1813 mit der protestantischen Pfarrerstochter aus Augsburg Henrietta Sofie Steiner geschlossenen dritten Ehe gingen zwei Söhne hervor. Adolph Oesterreicher wurde katholischer Geistlicher und diente als Kaplan bei verschiedenen Pfarreien, bevor er zuletzt als Kuratus im Bürgerspital auf dem Michelsberg wirkte und die Seelsorge in der Nervenheilanstalt St. Getreu übernahm. Er arbeitete lange Jahre als Schriftführer und Konservator für den Historischen Verein Bamberg. Der zweite Sohn Eduard schlug die militärische Laufbahn ein. Er starb 1869 als Lieutnant des 6. bayerischen Infanterieregiments. Während seiner langen Dienstjahre in Bamberg wohnte Paul Oesterreicher mit seiner Familie zunächst am Pfahlplätzchen 6 und in der Alten Judenstraße 14 („Böttinger-Haus“) zur Miete, bevor er mit seiner dritten Ehefrau und den Kindern das eigene Domizil am Jakobsplatz 6 bezog. Nach einem langen, arbeitsintensiven und erfüllten Leben starb er, ohne daß ihm sein Ruhestand vergönnt gewesen wäre, am 3. Februar 1839 im Alter von 72 Jahren nach mehrwöchigem Krankenlager an Entkräftung.
Die Säkularisation und dann noch vielmehr die weiteren territorialen Veränderungen hatten bewirkt, daß Paul Oesterreichers Tätigkeitsfeld als Archivar mit dem seiner Vorgänger nichts mehr gemein hatte. Das alte Hochstiftsarchiv in der Neuen Residenz mutierte unter Aufnahme des Schriftguts aller aufgelösten geistlichen Institutionen in Stadt und Land zunächst zum Archiv des kurpfalzbayerischen Fürstentums Bamberg. Die Auflösung des Hl. Röm. Reichs Deutscher Nation brachte die Übernahme der Archive des Fränkischen Reichskreises und dreier Ritterkantone sowie von Registraturgut der ehemaligen Reichsstadt Schweinfurt und der Reichsdörfer in deren Umgebung. Mit dem Erwerb des Fürstentums Bayreuth 1810 und der Verlagerung des Plassenburger Archivs und des Geheimen Archivs Bayreuth nach Bamberg wurde der Grundstein zum Archiv des neu gebildeten Obermainkreises, dem späteren Kreis- (dann Staats-)Archiv für Oberfranken gelegt. Die innere wie äußere Organisation des Archivs mußte von Grund auf neu geregelt werden. Paul Oesterreicher und sein kleiner Mitarbeiterstab widmeten sich dieser Aufgabe mit voller Energie. Urkundenverzeichnisse über Urkundenverzeichnisse wurden erstellt, von denen noch heute Archivare und Benützer gleichermaßen profitieren. Darüber hinaus mußten zahlreiche Rechtsgutachten und historische Ausarbeitungen gefertigt werden, die den neuen Machthabern zur Durchsetzung ihrer politischen Ansprüche u. a. gegen die Reichsritterschaft dienen sollten. Schließlich begannen, nicht nur wegen der weiteren territorialen Verschiebungen, arbeitsintensive Beständebereinigungsmaßnahmen zwischen den Archiven im Königreich nach dem Ortspertinenzprinzip. Paul Oesterreichers Schaffenskraft, seine archivarischen und litterarischen Verdienste, wurde auch an höherer Stelle gesehen und gewürdigt. Da eine Gehaltsaufbesserung nicht durchsetzbar war, ernannte man ihn 1821 zum königlich bayerischen Rat.
Sein ganzes Berufsleben hinweg führte Oesterreicher einen gelehrten Schriftwechsel mit Kollegen und Historikern in ganz Deutschland. Er widmete seine Aufmerksamkeit der Erhaltung historischer Denkmäler (u. a. dem Bamberger Dom, der Altenburg, der Klosterkirche in Schlüsselau mit dem Grabmal Konrad von Schlüsselbergs und verschiedenen Burgen in der Fränkischen Schweiz), woraufhin er 1811 zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München ernannt wurde. Darüber hinaus verfaßte er weit über 100 zumeist mit Urkundenanhängen versehene historische Veröffentlichungen, die er zuweilen in verschiedenen eigens gegründeten Reihen selbst herausgab. Waren Paul Oesterreichers Schriften zu Beginn seiner Karriere noch eher archivwissenschaftlich oder zeitgeschichtlichpolitisch motiviert, so verfaßte er nach 1810 nahezu ausschließlich Arbeiten zu Themen der bambergischen oder fränkischen Landesgeschichte, ohne dabei jemals seine Maxime zu verlassen, nur neues, aus originärem Quellenmaterial gezogenes Wissen mitzuteilen. Sein immerwiederkehrendes Leitmotiv hieß: „Es muß Licht werden!“, womit er sich auch als Befürworter des Säkularisationsgeschehens zu erkennen gab. Zuletzt arbeitete Oesterreicher im Auftrag des Regierungspräsidenten an einem historisch-topographischen Lexikon des Obermainkreises, das er aber nicht mehr vollenden konnte.
Paul Oesterreicher gehörte zum politisch wachen Bildungsbürgertum Bambergs. Zumindest um 1818 war er führendes Mitglied der Lesegesellschaft „Harmonie“, die sich nicht nur als gesellschaftlich-geselliger Verein mit literarischen und wissenschaftlichen Zielen verstand. Bei der Gründung und Etablierung des Historischen Vereins Bamberg in den Jahren 1830 und 1831 war Paul Oesterreicher die entscheidende Figur. Er war überzeugt von den Werten, Funktionen und Zielen des aufblühenden historischen Vereinswesens und setzte sich nicht nur in Bamberg, sondern in ganz Franken und darüber hinaus für die Umsetzung dieser Ideen ein. Sein tragendes Engagement in Bamberg war allerdings nur von kurzer Dauer. Enttäuscht vom mangelnden Einsatz seiner Mitstreiter erklärte er bereits im Sommer 1831 die Niederlegung seiner Ämter und seinen Austritt aus dem historischen Verein.
Oesterreichers Begeisterung für die Idee der historischen Vereine war entfacht durch den Aufruf König Ludwigs I., in allen Kreisen des Königreichs Bayern historische Vereine zu gründen. Als Vorstand des Archivkonservatoriums Bamberg und Wahrer der archivalischen Überlieferung sowohl des Fürstentums Bayreuth als auch des Hochstifts Bamberg fühlte er sich natürlich besonders angesprochen und aufgefordert, an der Umsetzung mitzuwirken. Von Beginn an verfocht er – entsprechend der den fränkischen Verhältnissen wohl nicht ganz angepaßten Idee des Königs – die Vorstellung eines historischen Gesamtvereins für den Obermainkreis. Mit Schreiben vom 28. Juni 1830 lud er die Bamberger Geschichtsfreunde zur Gründung eines solchen ein. Die Voraussetzungen dafür waren bereits ungünstig, denn am selben Tag hatte sich der seit 1827 in der Kreishauptstadt Bayreuth bestehende „Verein für Bayreuthische Geschichte und Altertumskunde“ unter der Leitung des 1. Bürgermeisters Hagen nach dem Vorbild des historischen Vereins des Rezatkreises zum Kreisverein erklärt. Anfang 1830 hatte Oesterreicher den Bürgermeister Hagen offensichtlich aufgefordert, „seinen“ Verein auf den ganzen Obermainkreis auszudehnen. Als eine Antwort ausblieb, wiederholte Oesterreicher mit Schreiben vom 27. Juni 1830 sein Ansinnen und berichtete, daß man in Bamberg eigentlich für einen eigenen Verein gewesen sei. Da dieser dem Bayreuther aber nachteilig sei und nicht der Idee des Königs entspräche, wolle man nun die Idee des Kreisvereins umsetzen. Als kleines Druckmittel legte er die „Ankündigung für einen geschichtlichen Verein des Obermainkreises“ bei, der bereits von der geistigen Elite Bambergs abgezeichnet war. Darin wird als Vereinszweck angegeben, die Denkmäler der Geschichte, welche so lehrreich für das menschliche Leben sind, zu sammeln, zu erhalten, wieder herzustellen und wissenschaftlich zu behandeln, besonders nachdem sie häufig verschleudert werden oder doch unbeachtet, unbenützt geblieben sind ...“. Bürgermeister Hagen erklärte daraufhin zwar umgehend, daß sich der Bayreuther Verein in einen Kreisverein umgewandelt habe. Den Schreiben der kommenden Monate merkt man jedoch an, daß die „Bipolarität“ im Kreis so fest verankert war, daß ein wirklicher Zusammenschluss nie zustande kommen konnte. Man legte zwar „Gemeinschaftliche Satzungen“ fest, vereinbarte regelmäßige Treffen und eine gemeinsame Zeitschrift als Veröffentlichungsorgan, doch zu einem wirklichen Zusammengehen in einem Kreisverein kam es nicht, weil jeder Verein sein Eigenleben behalten wollte. So wäre es zum Beispiel für die Bamberger nie in Frage gekommen, ihre angefangene Sammlung von Archivalien, Münzen, Druckwerken und sonstigen „Altertümern“ nach Bayreuth zu verlagern und Gleiches galt natürlich umgekehrt.
Zwar versuchte man anfangs, den gemeinsamen Vereinbarungen zur Kooperation zu folgen, indem man sich alljährlich bis 1857 zum Informationsaustausch traf und ganz konkret die erste gemeinsame Zeitschrift plante. Das erste gemeinsame Heft mit dem Titel „Archiv der Geschichte des Obermainkreises“ erschien zwar, aber es fand keinen Nachfolger mehr. Schon bei der Entstehung knirschte es im Hintergrund zwischen den Verantwortlichen der Vereine gewaltig, was wohl symptomatisch für die damalige Stimmung war, in der man sich gegenseitig mit Argusaugen begutachtete. Als Beirat, Schriftführer und „heimlicher“ Vorstand des Vereins in diesen Monaten gehörte Paul Oesterreicher zu den Protagonisten. Mit Eifer hatte er erst Beiträge für das erste Heft geliefert; kritisierte dann aber von Bamberger Vereinsseite das Vorauspreschen der Bayreuther, die – ohne die Bamberger eingeschaltet zu haben – mit einer Druckerei einen Vertrag geschlossen hatten und das erste Heft für den Druck vorbereitet hatten. Allerdings war im November 1830 Paul Oesterreicher selbst von Hans von Aufseß für die Absicht hart kritisiert worden, seine „Geschichte der Burg Rabenstein“ als erste Veröffentlichung des historischen Kreisvereins erscheinen zu lassen. Offen sprach Aufseß die Situation an, indem er bat, daß zum Besten des künftigen Kreisvereins jetzt keine Trennung der Kräfte durch gesondertes öffentliches Auftreten herbeigeführt werden dürfe. Paul Oesterreicher steckte nun etwas zurück. Jedenfalls antwortete er, seine Schrift solle nur ein Vorläufer der künftigen Zeitschrift sein, ein Denkmal für die Anwesenheit seiner königlichen Hoheit in Rabenstein am 23. Juni 1830 und für dessen dort gegebene Anregung zur Schaffung des historischen Vereins für den Obermainkreis.
Paul Oesterreichers Rückzug aus dem Bamberger Verein kam relativ schnell. Anzeichen einer kleinen Krise im Vereinsleben nach der Euphorie der Anfangsmonate gab es besonders im April und dann bei der Vereinssitzung am 3. Mai 1831. Zur Erreichung des Vereinszweckes hatte man sich hohe Ziele gesetzt. Dazu gehörte etwa die Forderung, jedes Vereinsmitglied habe mindestens ein Druckwerk in die neue Vereinsbibliothek zu liefern, wöchentlich sollten Zusammenkünfte gehalten werden und monatlich sollten die Vereinsmitglieder einen historischen Beitrag liefern. Paul Oesterreicher beharrte mit Eifer auf diesen Forderungen. Er stellte klar: Es ist jetzt thätiges Zusammenwirken nothwendig, um unseren Zweck zu erreichen und Ehre zu erwerben. Sein langjähriger Intimfeind, der Bibliothekar Heinrich Joachim Jaeck hatte sich schon im April an den Verein gewandt und gebeten, die gemeinsamen Sitzungen nurmehr monatlich und nicht mehr wöchentlich abzuhalten. In der Krisensitzung vom 3. Mai verabschiedete man noch mahnende Worte an die Vereinsmitglieder und erinnerte sie an ihre in der Satzung festgelegten Pflichten. Als auch das nichts half, kehrte Oesterreicher, der Mitglied und bald auch Ehrenmitglied zahlreicher fränkischer und außerbayerischer historischer Vereine und Gesellschaften war, dem Historischen Verein in Bamberg völlig den Rücken. Mit Schreiben vom 15. Juli 1831 legte er seine Ämter nieder und trat zugleich aus dem Verein aus. Bei der nächsten Sitzung wurden deshalb Beiratswahlen abgehalten. Paul Oesterreicher wurde zwar mit den zweitmeisten Stimmen wieder gewählt, doch er nahm die Wahl nicht an. Ein letztes Mal verewigte er sich im Protokollbuch des Vereins, das er sonst – wie fast den gesamten Briefverkehr des ersten Jahres – alleine geschrieben hatte, indem er an das Ende des Sitzungsprotokolls schrieb, sein Austritt sei definitiv und endgültig.
Paul Oesterreichers hoher persönlicher Einsatz bei der Gründung des Historischen Vereins, aber auch sein rasches Ausscheiden lassen typische Charakterzüge aufscheinen. Die meisten Mitglieder fühlten sich wohl vom dem Elan, dem Eifer und der Schaffenskraft des Archivars überfordert. Auf der anderen Seite wäre Paul Oesterreicher mit „seinem“ Verein wohl nur dann zufrieden gewesen, wenn darin lauter Gleichgesinnte und Fleißige unter seiner Leitung gewirkt hätten. Zudem saß, schon wegen seiner Königstreue, aber auch aus sachlichen Gründen, die Enttäuschung tief, daß sich der historische Verein des Obermainkreises (von Oberfranken), dessen geschichtliche Quellen komplett in „seinem“ Archiv in Bamberg verwahrt wurden, nicht hatte verwirklichen lassen.